Montag, 7. Oktober 2013

Menschen mit Syndromen

„Was für einen Geruch bringst du denn mit?!“, fragen mich - ihre Näschen rümpfend - Ratz und Rabatz, als ich nach Hause komme, meinen Rucksack neben das Fahrrad stelle und ihren Käfig öffne. „Hier stinkt’s.“ „Ja“, gebe ich zu, „ich bin in der Hasenheide in Hinterlassenschaften von Hunden getreten. Einiges davon klebt noch unter meinen Schuhsohlen.“ „Was hast denn du in der Hasenheide zu suchen?“, erkundigt sich Rabatz. „Gesucht habe ich dort gar nichts“, antworte ich, „aber mit einer Klientin die Trampeltiere im Neuköllner Tierpark besucht.“

Trampeltiere im Neuköllner Tierpark

„Womit?“, fragt er. „Nicht womit! Mit wem. Mit einer Klientin“, sage ich. „Welch grauenvolles Wort!“, schimpft Ratz. „Klingt wie Verbrecherin!“ „Ja“, pflichte ich ihm bei, „du hast recht, das Wort ist scheußlich, aber ich weiß kein besseres. Nur eines weiß ich ganz sicher: Klienten sind keine Verbrecher! Menschen, die aufgrund von schwerer Krankheit oder Behinderung auf Hilfe und Unterstützung bei der Alltagsbewältigung und gesellschaftlichen Teilhabe angewiesen sind, werden von denen, die diese Hilfe und Unterstützung anbieten, so sie nicht die Eltern, sonstige Verwandte, Freunde oder Bekannte sind, also von professionellen Anbietern, Klienten genannt.“ Ratz verdreht die Augen: „Derartig Absurdes können sich wieder nur Menschen ausgedacht haben!“ „Ja“, seufze ich, hole tief Luft und beginne eine längere Ausführung: „Nur weil jemand irgendetwas anders macht oder irgendwie anders aussieht als so genannte normale Menschen oder das eine oder andere nicht genauso kann, darf er nicht diskriminiert werden und das muss sich auch in der Sprache wiederspiegeln. Wann immer von Menschen, die anders sind, die Rede ist, müssen Wörter mit negativem Beigeschmack vermieden werden. An erster Stelle steht das Mensch-Sein. Es ist nicht mehr die Rede von behinderten bzw. schwer kranken Menschen oder gar – noch schlimmer - Behinderten bzw. Kranken in der substantivierten Form, ohne explizit zu erwähnen, dass es Menschen sind. Vielmehr sind es Menschen mit Besonderheiten oder etwas konkreter Menschen mit Behinderungen. So es sich um Menschen mit Behinderungen handelt, die noch im Kindes- oder Jugendalter sind und zur Schule gehen, spricht man von Schülern mit Förderschwerpunkten. Es gibt die Schwerpunkte körperliche und motorische Entwicklung, geistige Entwicklung, Sprache, Lernen, emotionale und seelische Entwicklung…“ „Und das“, fällt mir Ratz ins Wort, „hört sich jetzt irgendwie besser an als behindert?“ „Nö“, antworte ich. „Welcher Art Mensch mit Behinderung ist denn die Klientin, in deren Beisein du in der Hasenheide in hündische Hinterlassenschaften getreten bist? Welche Besonderheit hat sie?“, erkundigt sich Rabatz. „Sie hat das Down-Syndrom“, antworte ich. „Warum spricht man nicht einfach von Menschen mit verschiedenen Syndromen? Die einen haben Prader-Willi-, andere indes Asperger-, Aufmerksamkeits-Defizit-, Rett-, Apert-, Williams-Beuren-, Down- … oder eben Helfer-Syndrom?“, fragt Ratz. „Oh je“, stöhne ich, „jetzt wird es richtig kompliziert, zumal es auch noch Überschneidungen gibt, ein Mensch kann mehrere Syndrome haben. Und manch anderer ist ganz ohne irgendein Syndrom in seinen Möglichkeiten eingeschränkt… Also bevor ich weiter darüber nachdenke, widme ich mich erst einmal der Beseitigung ausgeschiedener Stoffwechselendprodukte, sowohl der hündischen von meinen Schuhsohlen als auch der eurigen aus dem Käfig.“ „Na, dann machen wir dir hier mal Platz“, sagen Ratz und Rabatz wie aus einem Mäulchen bzw. Schnäuzchen und entschwinden in Richtung Küche.

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