Sonntag, 20. Oktober 2013

Zettelstapel

Stöhnend betrachte ich die Erinnerungs- und Denke-daran-Zettel auf meinem Schreibtisch und weiß nicht, womit beginnen. Das reinste Durcheinander! Wichtig sind sie alle, sonst lägen sie nicht hier, Unwichtiges bzw. bereits Erledigtes pflege ich wegzuschmeißen bzw. zu schreddern und den Ratten zum Nestbau in den Käfig zu schütten. Ich nehme wahllos einen Zettel, dann einen zweiten und stecke ihn darunter, dann einen dritten und schiebe ihn dazwischen, dann einen vierten und lege ihn ganz nach oben… Rabatz und Ratz hocken nebeneinander nahe der Tischkante, schauen mir skeptisch zu und fragen dann wie aus einem Mäulchen bzw. Schnäuzchen: „Was machst denn du da?“ „Ich sortiere meine Zettel“, erkläre ich. „Willst du nicht lieber erledigen, was auf den Zetteln steht, als dich mit den Zetteln selbst zu beschäftigen?“, fragt Ratz. „Du weißt, dass ich deine altklugen Ratschläge nicht leiden kann?“, erwidere ich gereizt. „Du weißt, dass ich deine mich betreffenden kritischen Bemerkungen nicht leiden kann?“, kontert er schnippisch. „Streitet nicht!“, mischt sich Rabatz ein und fragt mich: „Sortierst du nach Größe oder nach Gewicht?“ „Weder noch“, lache ich, „nach Priorität.“ „Wonach?“ „Nach Wichtigkeit.“ „Ach so. Sag das doch gleich.“ „Das Wichtige liegt oben, das Wichtigste davon zualleroberst, nach unten nimmt die Wichtigkeit ab.“ „Lass mal sehen“, sagen Ratz und Rabatz gleichzeitig und kommen näher, um die Stapelform annehmenden Zettel zu betrachten. „Käfig putzen“, lesen sie und legen fest: „Wichtig, nach oben.“ Als nächstes: „Dokumentationen schreiben - Was ist denn das?“ „Ich muss aufschreiben und abrechnen, was ich wann mit welchem Klienten bzw. welcher Klientin gemacht habe, sonst bekomme ich kein Geld.“ – „Oh! Kein Geld ist blöd! Sehr wichtig, ganz nach oben.“ – „Fenster putzen.“ – „Unwichtig, nach unten.“ – „E-Mails lesen und beantworten – ist das wichtig?“ – „Weiß ich nicht. Ich habe sie ja noch nicht gelesen.“ – „Hm, kommt in die Mitte.“ – „Nee, lieber so ein bisschen oberhalb der Mitte.“ – „Herumliegende CDs einsortieren.“ – „Das ist unnütz. Wenn du sie das nächste Mal hören willst, musst du sie ohnehin wieder rausnehmen.“ – „Diesem Argument folgend müsste man niemals irgendetwas aufräumen.“ – „Also was nun? Unter oder über Fenster-Putzen?“ – „Über.“ - „Überweisungen vornehmen.“ – „Das eilt nicht, sonst haben wir wieder nur noch so wenig Geld.“ – „Doch, das eilt, sonst erheben die Absender der Rechnungen Verzugsgebühren. Damit wir trotzdem genug Geld haben, muss ich ja die Dokumentationen schreiben.“ – „Also wohin nun?“ – „Na, so als vierten Zettel von oben.“ – „Spinnweben aus den Zimmerecken saugen.“ – „Vollkommen unwichtig! Wird geschreddert!“ – „Nein! Bisschen unwichtig, aber nicht vollkommen. Der Handwerker, der die Gastherme überprüfen kommt, nörgelt jedes Mal, wenn Spinnweben von oben in die Therme hängen.“ – „Der war doch gerade erst da.“ – „Kommt aber wieder.“ – „Mist!“ … Ich stoße die übereinander liegenden Zettel zurecht, damit der Stapel ordentlich aussieht, während Ratz und Rabatz scheinbar ziellos auf dem Tisch umherlaufen. „Sucht ihr noch etwas?“, frage ich. „Ja“, und in dem Moment fischt Rabatz einen versteckten Zettel unter der Postablage hervor: „Neue Notizzettel zuschneiden.“ Unzufrieden mit dem Inhalt schiebt er mir den Zettel zu. „Du hast dir keine einzige Erinnerung an unsere Fütterung geschrieben“, mault er. „Brauche ich nicht“, tröste ich ihn, „an die denke ich ohne Zettel. Außerdem findet ihr den Weg in die Küche allein.“ „Ja“, stimmt er mir zu, als er Ratz folgend schon auf dem Weg ist, „aber so ein Zettel würde doch eine wohlige Portion Wichtigkeit zum Ausdruck bringen.“ Ich greife sogleich nach einem noch leeren Zettel, schreibe „Ratten füttern“ darauf und lege ihn zualleroberst auf den Stapel.

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