Mittwoch, 9. Oktober 2013

Ziviler Ungehorsam gegen rechts

„Wonach suchst denn du?“, fragt mich Rabatz, als er neben den Laptop auf die Schreibtischplatte springt. Ich erschrecke ein wenig, weil ich mich nicht erinnern kann, den Käfig geöffnet zu haben. Er errät meine Gedanken und kommt meiner Frage zuvor: „Eine der Käfigtüren war nicht fest eingerastet. Ich wohne nunmehr seit ¾ Jahren bei dir und weiß, wie die Türverschlüsse funktionieren.“ „Ich mag Tiere, die schlau sind“, antworte ich, kraule seinen Nacken und sogleich gesellt sich auf der Suche nach Streicheleinheiten auch Ratz zu uns: „Und was suchst du nun?“ „Ich suche die Regelung, dass man in Briefen und E-Mails die Anredepronomen Du und Ihr nebst ihren deklinierten Formen wieder groß schreibt. Ich werde in letzter Zeit vermehrt darauf hingewiesen und will die amtliche Bestätigung.“ „Och“, knurrt Ratz, „ständig neue formale Regeln für inhaltlich Gleichbleibendes.“ „Knurr du doch nicht“, murre ich, „ich bin’s doch, die schreiben muss.“ „Ich knurre, wann ich will“, mault er, „du bist immer so schlecht gelaunt, wenn du dich mit Dingen beschäftigst, die dich nerven.“ „Komisch“, sage ich mit leicht ironischem Unterton. Ratz überlegt kurz und gibt dann zu Bedenken: „Bestimmt verfügen eure Oberen nur deshalb ständig neue Formalien, damit ihr keine Zeit habt, selbstbestimmtes Leben zu organisieren. Sie halten euch auf diese Weise von zivilem Ungehorsam ab.“ „Du meinst, indem sie uns beschäftigen, sorgen sie dafür, dass wir das nicht mit ihnen tun? Nein“, gebe ich ihm Unrecht, „hinter dem Rechtschreib-Wirrwarr verbirgt sich dickes, fettes kommerzielles Interesse. Die Menschen sollen unentwegt neue Wörterbücher kaufen.“ „Vielleicht habt ihr ja beide Recht“, sagt Rabatz nachdenklich. „Ja, vielleicht“, nehme ich beider Gedanken auf und setze die Überlegung kurz darauf fort: „Die Vorgehensweise, Menschen, von denen man nicht beschäftigt werden will, zu beschäftigen, scheint jedenfalls geeignet. Gerade erst las ich*, dass die AfD zur Zeit mit Aufnahmeanträgen ehemaliger Mitglieder der rechtspopulistischen Partei Die Freiheit beschäftigt ist...“ „Du bist doch hoffentlich nicht…“, schreit Ratz. „Nein“, besänftige ich ihn, „weder in irgendeiner Partei noch rechts noch populistisch… Aber wenn alle Linken, die keiner Partei angehören, Aufnahmeanträge an die AfD schicken – selbstverständlich ohne tatsächlichen Aufnahmewunsch – dann haben diese angeblichen Euro-Kritiker, die ihre Euro-Kritik gerne mit dem Hitler-Gruß verbinden, gut zu tun. Wir müssen die beschäftigen mit irgendwelchem Kram, der sinn- und harmlos, aber aufwändig ist, damit sie keine Zeit für die Verbreitung von Hass und Gewalt haben… Und meine Beschäftigung damit, ob die Anredepronomen Du und Ihr groß zu schreiben sind, lässt sich getrost vertagen, denn AfD-Verbrecher duzt man ja nicht.“ „Also das müssen wir jetzt erst einmal schlucken“, nuscheln Ratz und Rabatz leise in ihre Mäulchen bzw. Schnäuzchen. „Wollt ihr etwas Salat und Nüsse dazu?“, frage ich. „Ja!“, rufen beide, springen vom Tisch und in Richtung Küche.

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