Dienstag, 19. November 2013

Traurig

„Geh schlafen“, wispert Rabatz mir durchs Käfiggitter zu, nachdem unser aller heutiger Ausflug in die Küche längst hinter uns liegt. „Du liest doch gar nicht mehr, hältst das Buch nur noch fest.“ „Ich bin nicht müde“, erwidere ich. „Dann lies“, sagt er. „Kann nicht“, seufze ich, „bin traurig.“ Ratz horcht auf: „Was ist denn passiert?“ „Jede Menge. Lies doch selber Zeitung!“, werde ich grantig. „Sei nicht so garstig!“, schimpft er. „Ich will wissen, warum du traurig bist.“ „Und ich auch“, beeilt sich Rabatz hinzuzufügen. Ich öffne den Käfig, die beiden springen in meine Arme, Rabatz knabbert ein wenig an dem Gipsverband, in dem der linke steckt, und fragt: „Ist es deshalb?“ „Quatsch!“, antworte ich. Zwei Ratten schauen mich aus vier Augen fragend an. „Mein Lieblings-Klient liegt im Krankenhaus“, flüstere ich. „Das ist doch aber nicht deine Schuld“, versuchen Ratz und Rabatz mich wie aus einem Mäulchen bzw. Schnäuzchen zu trösten. „Natürlich nicht“, pflichte ich ihnen bei, „aber lasst mich bitte trotzdem traurig sein.“ Zwei Ratten schmiegen ihre Köpfchen an meine Schulter.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen