Dienstag, 4. März 2014

Wissensdurst und Käsehunger

"Bist du jetzt endlich fertig?", fragt Moritz, indem er auf den Schreibtisch springt und mir vorwurfsvolle Blicke zuwirft. "Wie fertig? Was meinst du? Womit fertig?", reagiere ich mit Gegenfragen. "Na, mit dem, was du hier gerade machst", antwortet er. "Also ich meine, den merkwürdigen ausgekippten Krimskram hier angucken kannst du ja meinetwegen noch den ganzen Abend und die halbe Nacht, wenn das für dich wichtig ist, aber mit diesem Sachen-Rumschmeißen und Fluchen... Bist du damit jetzt fertig?" "Ich schmeiße keine Sachen rum", rechtfertige ich mich. "Mir sind Bücher runtergefallen, und zwar ziemlich schwere und obendrein sechs Stück auf einmal und - besonders ärgerlich - genau auf den Drucker, so dass ich momentan nicht genau weiß, ob der fortan noch drucken wird. Außerdem ist die Kiste mit dem Krimskram umgekippt und auf eine der Reißzwecken davon, die jetzt auf dem Fußboden liegen, bin ich getreten... Ich werde wohl noch fluchen dürfen!"


"Ja, ja", gibt er klein bei, "aber doch nicht so laut." "Bücher fallen lassen und fluchen kann man nicht leise", sage ich. "Aber nun schaue ich mir ja nur noch an, was außer Reißzwecken, Büro- und Musterbeutelklammern, Pinnwandnadeln u.ä. so aus der Krimskram-Kiste gerutscht ist. Das macht keinen Krach." "Was ist es denn?", erkundigen sich Dachs und Max, die nun ebenfalls auf dem Tisch sitzen, neugierig wie aus einem Mäulchen bzw. Schnäuzchen.


"Bleistiftstummel, DDR-Briefmarken, gebastelte Geschenke von meiner einzigen Lieblingstochter aus einer Zeit, als sie noch recht klein gewesen sein muss, denn die Bilder, die sie mir ausgeschnitten hat, stammen aus der Bummi-Zeitschrift für Vorschulkinder", antworte ich.


"Was sind DDR-Briefmarken?", wollen sie wissen. "Briefmarken, die zwar einen aufgedruckten Wert haben, aber heute nicht mehr auf einen Brief geklebt werden dürfen, d.h., aufkleben dürfte ich sie wahrscheinlich, müsste dann aber noch bundesdeutsche dazukleben, so der Brief befördert werden soll. Briefmarken aus einem Land, das es nicht mehr gibt, sind nicht gültig", erkläre ich. "Werden aber mal wertvoller als ihr aufgedruckter Preis", belehrt Ratz, der sich zu uns gesellt. "Hm, vielleicht", stimme ich ihm halb zu. "Und wo hast du die her?", bohren Dachs und Max weiter. "Na, aus der DDR. Da habe ich früher gelebt", gebe ich Auskunft. "Wirst du dann auch mal wertvoll?", setzt Moritz das Frage-Spiel fort. Ich verneine kopfschüttelnd und füge grinsend hinzu: "Aber ich bin gültig." "Endgültig?", provoziert Ratz und mit "Ja, bis an mein Ende" lasse ich mich auf sein Wortspiel ein. "Och", mault nun Rabatz, der bisher schweigend zugehört hat, aus der entgegengesetzten Zimmerecke, "jetzt tritt auch noch der Tod ins Gespräch! Warum guckst du so traurig? Wegen des kaputten Druckers?" "Nein", beschwichtige ich ihn. "Ob der kaputt ist, wissen wir doch noch gar nicht. Gucke ich traurig? Ich bin nachdenklich. Ich erinnere mich an die Zeit, als meine Kinder für mich u.a. Bilder aus der Bummi-Zeitschrift ausgeschnitten und damit Streichholzschachteln beklebt haben."


"War es damals schöner?", forschen Dachs und Max, die heute irgendwie synchron sprechen, weiter. "Nicht immer", sage ich. "Manchmal haben die Kinder sich gestritten und manchmal haben sie, wenn ich nicht da war, Dinge getan, die ich nicht wissen sollte, irgendwann aber doch wusste, zumindest die meisten. Manchmal wollte ich, dass sie Dinge tun, die sie nicht tun wollten, dann haben sie sich nicht untereinander, sondern mit mir gestritten... Aber wenn ich heute so Gebasteltes wie Schmuckkästchen aus Streichholzschachteln oder den Topflappen aus Wischtüchern sehe, dann fällt mir das Schöne ein." "Topflappen aus Wischtüchern?" stellt Rabatz meine Worte in Frage. "Ja", bestätige ich sie ihm, "sollte dir eigentlich schon mal aufgefallen sein. Den hat mein einziger Lieblingssohn im Sachkundeunterricht hergestellt, 2. Klasse. Hängt in der Küche über dem Herd." "Oh, lasst uns gleich mal alle in die Küche gehen!", rufen die drei Rabatz-Kinder. "Da gibt es doch nicht nur Topflappen!" "Nö", bestätige ich. "Auch Käse." Fünf Ratten - 1 Opa, 1 Mann in seinen besten Jahren, 3 jugendliche Jungs - rennen in die Küche und ein Mensch - weiblich, aus dem Lebensabschnitt nach den so genannten besten Jahren das Beste machend - bemüht sich, mit ihnen Schritt zu halten.

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