Samstag, 9. August 2014

Kein Gram, weder mit noch ohne Gries

"Warum guckst denn du so griesgrämig?", fragt mich Ratz, als ich - soeben nach Hause gekommen - erst den Käfig und dann meinen Rucksack öffne, aus dem ich käuflich erworbenes Non-Food ziehe und begutachte. "Ich gucke nicht griesgrämig", sage ich. "Doch", behauptet er. "Nein", erwidere ich. "Doch", beharrt er auf seiner Sichtweise. "Nein", beteuere ich. "Na, wie guckst du denn wohl, wenn nicht griesgrämig?", provoziert er weiter. "Keine Ahnung", äußere ich gereizt. "Wie soll ich das wissen? Ich betrachte doch gerade dieses Hemd, das ich mir heute gekauft habe, und nicht mein Spiegelbild." "Du widersprichst dir", merkt er an. "Gerade eben hast du noch behauptet, nicht griesgrämig zu gucken, und nun sagst du, nicht wissen zu können, wie du guckst." "Du nervst", weise ich ihn zurecht. "Wenn du damit nicht sofort aufhörst, werde ich vermutlich griesgrämig und gucke dann auch entsprechend." "Du willst mir drohen?!", erbost er sich. "Ich will nicht, aber...", hebe ich an, komme jedoch nicht weiter, denn Dachs fällt mir ins Wort. "Man soll nie gegen den eigenen Willen handeln", klugscheißert er. Ich spüre in mir so etwas wie Gram, also Verärgerung aufkommen; ob Gries mit am Werke ist, weiß ich kaum. Allerdings unterdrücke ich das Gefühl und liebsäusele, so gut mir diese Verstellung gelingt: "Für den Fall, dass mein Gesichtsausdruck meiner momentanen geistigen Verfassung entspricht, gucke ich ungläubig." "Ungläubig?", mischt sich Moritz ins Gespräch. "Wie das? Du glaubst nicht an das Hemd, das du heute gekauft hast und gerade betrachtest?" "Hemden haben nichts mit Glaube zu tun", knurre ich und kann meine Verstellung nicht mehr gut aufrecht halten. Die Vergrämung, so es dieses Wort gibt, gewinnt die Oberhand. Rabatz rettet mich, indem er vom Thema ablenkt: "Mal etwas ganz anderes: Wieso kaufst du dir eigentlich immer Hemden und nie Blusen?" Damit spricht er eine meiner Schwächen an, wenngleich keine, die mir schlechtes Gewissen bereitet, denn ich schade damit niemandem. Dennoch rumort es kurz in meinem Inneren, bevor ich erkläre: "Modedesigner können Frauen mit meinem Klamotten-Geschmack irgendwie nicht leiden. Von Hemden für Männer gefällt mir das eine oder andere, von Blusen für Frauen keine." "Aber da du dir doch ein Hemd gekauft hast, ich nehme an, eines der wenigen, die dir gefallen, warum guckst du dann, während du es betrachtest, griesgrämig?", fährt Ratz daraufhin fort zu stänkern. Damit bringt er das sprichwörtliche Fass zum Überlaufen. "Ich gucke nicht griesgrämig!", schreie ich. "Ach so, ja, ungläubig", korrigiert er sich und tut dabei so, als sei er lediglich zerstreut gewesen. "Atheistisch?", erkundigt sich Dachs. "Arrgh! Ihr macht mich alle wahnsinnig!", schimpfe ich nun, wobei mein Gram sich aber schon aufzulösen und in sein Gegenteil überzugehen beginnt, dennoch verfinstert sich möglicherweise für einen Moment mein Gesicht. "Sag ich doch! Griesgram. Du bist und guckst griesgrämig", tut Ratz erneut kund. "Nein!", widerspreche ich ihm lautstark. Moritz springt zu mir auf die Schulter, schiebt mir eines seiner Pfötchen über den Mund und bittet: "Reg dich doch nicht so auf, du Ungläubige! Was an diesem Hemd glaubst du denn nicht?" "Endlich kommen wir auf das eigentliche Thema zu sprechen", atme ich erleichtert auf und antworte: "Den Pflegehinweis." Fünf Ratten springen auf bzw. in das nämliche Hemd, suchen, finden und lesen den Hinweis.



"Ich finde den glaubwürdig", bekundet Max. "Das ist doch der übliche Spruch, der in Sachen eingenäht ist." "Das ist wahr", stimme ich zunächst zu, bringe dann jedoch Zweifel an: "Ich glaube indes nicht, dass es gelingt, an einem dunkel-hell-karierten Hemd wie diesem die dunklen Karos getrennt von den hellen zu waschen. Oder lassen sie sich lösen und nach dem separaten Waschen wieder anbringen?" "Wohl kaum", kichern fünf Ratten wie aus einem Mäulchen bzw. Schnäuzchen und unsere aggressiv-provokant-gereizte Stimmung schlägt endlich in Heiterkeit um. Lachen macht hungrig. "Du hast außer diesem unwaschbaren Hemd nicht zufällig auch etwas zum Essen gekauft?" Ratz spricht diese Frage nicht aus, vielmehr ist sie ihm anzusehen, kurz bevor er plötzlich in meinem Rucksack verschwindet. "Für euch gibt's Birnen zum Abendbrot", verkünde ich und füge belehrend hinzu: "Obst vor dem Verzehr immer waschen." "Separat?", piepst Dachs. "Ja", lasse ich mich auf seine Ironie ein, "nicht mit dem Hemd zusammen." "Na, das ist ja ohnehin unwaschbar", grummelt es aus meinem Rucksack. Auch ein leises Schmatzen lässt sich von dort vernehmen.

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