Samstag, 16. Mai 2015

Gespräch über Lücken

„Du bist heute spät“, schmollt Moritz, als ich nach Hause komme, meinen Rucksack neben das Fahrrad stelle und den Käfig öffne. „Ja, ich hatte viel zu tun“, rechtfertige ich mich. „Was denn so?“, erkundigt er sich. „Na, das eine und andere, dies und jenes, Erfreuliches und Unerfreuliches… Jedenfalls viel“, antworte ich. „Hm, gut nachvollziehbar sind deine Ausführungen nicht“, konstatiert Max mit ironisch-kritischem Unterton und schickt sogleich die Frage hinterher: „Hattest du zwischendurch wenigstens mal Pause?“ Ich nicke, woraufhin Dachs sofort wissen will, ob ich sie vernünftig genutzt habe. „Ich habe sie genutzt, aber aus dem Rückblick betrachtet nicht wirklich sinnvoll“, gestehe ich seufzend. „Du hättest uns etwas Schönes kaufen sollen“, sagt Max. Ich schüttele den Kopf und hebe sogleich zu einer etwas längeren Ausführung an: „Ich war in einem sogenannten Outdoor-Fachgeschäft und habe nach einer Jacke gefragt, die nicht warm, doch sogar bei starkem Regen trocken hält, leicht und atmungsaktiv ist sowie für den Fall, dass es nicht regnet, klein zusammengefaltet in der Tasche oder im Rucksack Platz findet und obendrein kein halbes Vermögen kostet.“ „Das ist doch sinnvoll“, findet Moritz und fordert mich auf: „Zeig mal!“ „Hä? Was soll ich denn jetzt zeigen?“, spreche ich meine Gedanken aus. (Heute bin ich besonders begriffsstutzig.) Moritz beweist jedoch Geduld und konkretisiert: „Na, diese preiswerte Outdoor-Jacke für warme oder gar heiße Sommertage, an denen es gelegentlich regnet.“ Nunmehr verstehend schlage ich mir mit der flachen Hand gegen die Stirn – keine Ahnung, was das soll - und führe aus: „Es gab keine Jacke mit den von mir gewünschten Gebrauchseigenschaften, lediglich einen Verkäufer, der genervt die Augen verdreht und gestöhnt hat, als ich mit dem Vortragen meines Wunsches fertig war. Ich sei nicht die erste Kundin, die nach einem solchen Bekleidungsstück fragt, hat er gesagt.“ Moritz murmelt nachdenklich vor sich hin: „Komisch. Viele Kunden fragen danach und trotzdem gibt es keins? Bestimmt nicht die Nachfrage das Angebot?“ Dachs mischt sich ins Gespräch. „Ein wenig“, erklärt er oberlehrerhaft wie seinerzeit Ratz. „Natürlich ist es so, dass Sachen, die trotz hartnäckiger Versuche, Nachfrage via Werbung zu erzeugen, niemand kauft, früher oder später vom Markt entfernt werden. Nur ist der Umkehrschluss nicht unbedingt zulässig. Die Nachfrage bestimmt mit dem Angebot in erster Linie dessen Preis. Es gibt jedoch nicht alles, was nachgefragt wird.“ Moritz holt das Gespräch von der theoretischen auf die alltagspraktische Ebene zurück: „Was für Jacken gab es denn?“ „Wasserdichte Jacken, die nicht leicht sind, leichte Jacken mit geringem Packmaß, die kein Wasser abhalten, atmungsaktive Jacken, die ein halbes Vermögen kosten, billige Überwürfe, die als Jacken zu bezeichnen ich mich weigere…“, beginne ich aufzuzählen. Max fällt mir ins Wort: „Ich sehe da eine Marktlücke.“ „Ich hatte während meiner Pause eher eine Zufriedenheitslücke“, gebe ich mich zerknirscht. „Sind Markt- und Zufriedenheitslücken nicht dasselbe?“, sinniert Moritz erneut. „Nicht zwingend“, doziert nun wieder Dachs. „Auf tatsächliche Marktlücken mag diese Deckungsgleichheit mit Zufriedenheitslücken zutreffen, aber nicht auf die durch Werbung künstlich generierten…“ Allerdings wird plötzlich auch er unsicher. „Obwohl… also… hm“, wispert er und wiegt sein Haupt. „Manchmal klaffen schlicht Finanzierungslücken…“, platzt Max in die entstehende Gesprächslücke und Moritz verkündet: „In meinem Magen breitet sich übrigens gerade eine Sättigungslücke aus.“ „Oh, die lässt sich schließen“, gebe ich bekannt. „Sag das doch gleich!“, rufen Dachs, Max und Moritz wie aus einem Mäulchen bzw. Schnäuzchen und kapern in der Annahme, dort auf Essbares zu stoßen, meinen Rucksack. Ich lasse sie einige Minuten vergeblich suchen, denn das erhöht die Vorfreude, bevor ich ihnen hart gewordenen Käse, den ich selbst nicht mehr essen will, aus der Küche hole.

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